Viele klassische Therapieansätze – und auch viele Paare – glauben, dass sie ihre Beziehung „in Ordnung bringen“, indem sie ihre Konflikte endlich lösen. Sie glauben, dass Paartherapie und Paarberatung genau dafür da ist: Konflikte zu lösen!
Doch die Forschung von John Gottman, mit mehr als 3000 Paren sagt klar: "Das ist ein Mythos."
In über 40 Jahren Forschung hat er gezeigt, dass 69 % aller Beziehungskonflikte nicht lösbar sind. Nicht durch innere Arbeit oder unendliche Konfliktgespräche. Sie sind nicht das Resultat eines Fehlers, Traumas oder Missverständnisses – sondern Ausdruck tief verankerter Unterschiede:
Gottman nennt diese Themen perpetual problems (dauerhafte bzw. un-endliche Probleme). Und er sagt unmissverständlich:
„Therapeuten scheitern oft, wenn sie versuchen, diese Probleme zu lösen. Was hilft, ist zu lernen, wie man darüber spricht, ohne sich gegenseitig zu verletzen.“(Gottman Handbuch Ausbildung Level 2)
Wir müssen dauerhafte Probleme anerkennen, um als Paar einen Weg vorwärts zu finden. Das klingt im ersten Moment fast ein wenig niederschmetternd:„Wie – der Großteil unserer Probleme lassen sich nicht lösen?“ Leider ja. Und es ist nicht hilfreich oder ethisch, etwas anderes zu versprechen. Und genau hier braucht es eine entscheidende Unterscheidung. Denn was wir „Problem“ nennen, besteht oft aus zwei Ebenen:
Und genau auf dieser zweiten Ebene entscheidet sich, ob eine Beziehung lebendig bleibt oder sich festfährt. Nicht ob ihr Unterschied da ist – sondern, wie ihr damit umgeht.
Als Paar müssen wir anerkennen, wo wir unterschiedlich sind:
Und dann müssen wir die bittere Pille schlucken: Viele dieser Dinge werden in irgendeiner Form bleiben. Und ja, das beinhaltet Muster, die dauerhafte Konfliktherde und Herausforderungen mit sich bringen:
Sarah ist sehr sensibel für emotionale Distanz und fühlt sich schnell unsicher, wenn Daniel kurz angebunden ist. Hans fühlt sich davon oft eingeengt. Dies kann immer wieder zu Konflikten führen.
Hans reagiert oft direkt, wenn etwas für ihn nicht passt – mit Einwand statt Zustimmung. Für Sarah fühlt sich das wie ein ständiges „Nein“ an. Sie sehnt sich nach mehr Resonanz. Und fragt sich manchmal: Warum ist es so schwer, einfach mitzugehen?
Viele dieser Muster sind tief unserer Biologie und unserem Temperament verankert. Es gibt keine "Heilung" oder plötzliche Transformation dieser. Unser Job als Paar ist es nicht, unsere Unterschiede zu beseitigen – sondern zu lernen, wie wir mit ihnen leben können.
Das bedeutet: Wir müssen unsere natürlichen Reaktionen, Gewohnheiten und Impulse so lenken, dass sie in unser gemeinsames System passen. Nicht perfekt, aber beziehungsfähig. Ist das leicht? Nein. Aber wenn es gelingt, passiert etwas Besonderes: Die Konfliktpunkte sind noch da – aber sie fühlen sich nicht mehr bedrohlich an.
Sie sind vertraut. Fast schon Teil eurer Sprache. Manchmal nervig, aber nicht mehr trennend.
In jeder Beziehung gibt es Punkte, an denen es immer wieder Reibung gibt. Das ist nicht pathologisch. Das ist Beziehung.
Der Job eines Paares ist nicht, diese Reibung „wegzuarbeiten“. Sondern: eine Kultur zu entwickeln, in der sie nicht eskalieren muss. Wo keiner dauerhaft enttäuscht, übersehen oder kritisiert wird. Wo es möglich ist, immer wieder ins Gespräch zu kommen – nicht über Schuld, sondern über Bedeutung.
Ich will damit nicht sagen, dass innere Arbeit nichts bringt. Ja – durch Therapie, Reflexion, Körperarbeit oder Achtsamkeit können wir Wunden heilen, Trigger abmildern und inneren Halt aufbauen.
Aber: In meiner Erfahrung verändern sich Menschen dadurch nur selten fundamental.
Innere Arbeit kann helfen, unsere Reaktionen weicher zu machen. Aber sie verändert selten die Struktur.
Und deshalb bleibt Beziehung immer ein Raum, in dem wir miteinander navigieren lernen müssen – nicht erst nach der Heilung.